Brexit: Die europäische Vision wiederbeleben Jul 09, 2016

Großbritannien hat nicht nur einen schweren wirtschaftlichen, sondern auch einen großen Imageschaden davongetragen. Dieser ist größer als der für die EU. Das zeigen sowohl die Reaktionen im Land als auch international. 
Im Grunde gibt es jetzt zwei Szenarien: die EU bricht weiter auseinander; der Brexit ist Wasser auf die Mühlen der Nationalisten. Oder das genaue Gegenteil tritt ein: die EU rauft sich zusammen. Persönlich glaube ich, dass die extrem kritischen Reaktionen auf das Referendum der Briten – wirtschaftlich, kommunikativ und politisch – eher bindende Kräfte entfalten werden. 

Aus Perspektive der Krisenkommunikation muss es jetzt vor allem um eines gehen: eine stärkere Besinnung darauf, warum Europa für uns so wichtig ist. Warum gibt es diese Gemeinschaft? Was ist der Kern, der uns zusammenhält? Wir sollten das Gemeinsame betonen, weniger das Trennende. Und trotz aller – auch berechtigten – Kritik gegenüber der EU sollten wir gemeinsam daran arbeiten, einen klaren emotionalen und faktischen Anker für die EU zu schaffen. Wenn man so will, die Vision der EU wiederbeleben. Da würde eine Kampagne einen wichtigen Beitrag leisten. 

Hinzu kommt, dass wir uns Gedanken um das Thema Politikvermittlung machen müssen. Egal, ob wir uns den Brexit anschauen, nationale Bewegungen in Frankreich und den Niederlanden oder den Aufstieg von AfD oder Pegida in Deutschland: Wir erleben ein diffuses Misstrauen in die Politik, das sich immer mehr in einer Abwehrhaltung gegenüber den so genannten Etablierten manifestiert. 

Natürlich kann Kommunikation helfen – auch mit Kampagnen. Aber vermutlich müssen wir den mühsamen Weg des Dialoges wählen. Was wieder einmal zeigt: Demokratie ist anstrengend. Es gilt, uns allen wieder bewusst zu machen, wofür wir Europa wirklich brauchen und was Europa jedem Einzelnen bringt. Dies ist keine Aufgabe einer einzelnen Institution, einer einzelnen Organisation oder eines einzelnen Staates. Dies ist eher eine Gemeinschaftsaufgabe – in der sich viele engagieren: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, etc. Und wenn der Brexit dafür die Initialzündung gegeben hat, dann hat das Desaster des Referendums wenigstens etwas Positives gebracht. 

Ich finde das heutige Zitat des Schriftstellers und Publizisten Navid Kermani sehr passend: „Europa hat nicht zu viele Gegner. Es hat zu lausige Unterstützer und zu lausige Anhänger“ Jungen Leuten beispielsweise, muss man Europa nicht erklären. In den sozialen Netzwerken beschweren sich junge Briten darüber, dass die Alten ihnen mit ihrer Entscheidung die Zukunft verbauen. Anderseits haben viele von ihnen nicht gewählt. Kommunikation und Dialog müssen also vor allem auf die jungen Leute abzielen. Sie sind pro-europäisch eingestellt, international vernetzt. Ihre positiven Erfahrungen stärker in der Öffentlichkeit zu präsentierten, um Europas neues, junges Gesicht zu zeigen – das wäre ein guter Weg.

Dieser Artikel ist vorab auf HORIZONT.net erschienen.

Über den Autor

Dirk Popp

Dirk Popp

Er gilt als einer der renommiertesten Krisenkommunikations-Experten in Deutschland. Die Süddeutsche Zeitung schreibt über ihn, er könne ein angekratztes Image aufpolieren wie kaum ein Zweiter. Dirk Popp berät seit vielen Jahren DAX-Unternehmen, Mittelständler, Marken und Persönlichkeiten in Krisensituationen und bei der Kommunikation schwieriger Themen.

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